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Hans Vieth sprengt Schornstein in Spexard

 
Abgeblasen: Mit drei kurzen Tönen signalisiert Hans Vieth, dass die Sprengung vorüber ist. Von dem 50 Meter hohen Schornstein bleiben nur Ziegel und das Fundament.

Er ist die Ruhe selbst. Hans Vieth hat am Samstag elf Löcher gebohrt und den Sprengstoff Ammonium-Gelit etwa 55 Zentimeter tief in die Schornsteinwand gedrückt. „Zwei Kilogramm reichen“, sagt er und lächelt dabei hintergründig: „Vielleicht bleibt er auch stehen, dann muss ich nachlegen.“ Musste er nicht. Ein dumpfer Knall um 8.30 Uhr und der alte Feuerborn-Schornstein ist Spexarder Geschichte.

Die Ruhe vor dem Rumms nutzen Hans Vieth und Petra Löwe für ein Schwätzchen am Rand der Industrie-Ruine. Löwe ist Gruppenleiterin beim THW in Braunschweig und dort Sprengexpertin. „Mit Hans habe ich schon vieles zum Einsturz gebracht“, berichtet sie. Noch immer strömen vor allem Väter mit ihren Söhnen zur Verler Straße, um Zeugen des detailliert geplanten Zerstörungswerkes zu werden. Das heimische THW hält sie auf Distanz. Löwe koordiniert die Helfer so routiniert, dass sie fast so unbeteiligt wirkt, wie der 72-jährige Sprengmeister. Zappelig sind nur die kleinen Jungs an den Händen ihrer Väter und die zig Hobbyfotografen, die nach dem geeigneten Standpunkt fahnden, um die Sekunden nach dem Knall auf den Speicherchip zu bannen. Schon eine Stunde vor der Sprengung umkreisen sie das umzäunte Areal.

 
Landung in der Gasse: Die riesige Turm senkt sich planmäßig in sein Bett zwischen zwei Schutthalden.

Der ausgeblichene rote Overall Hans Vieths lässt erahnen, dass er schon einiges mitgemacht hat. „Mehr als 100 Schornsteine habe ich in den vergangenen 30 Jahren gesprengt. „Widersetzt haben sich bisher nur drei Gebäude.“ Der 50 Meter hohe Schlot auf dem früheren Moralt-Gelände an der Verler Straße in Spexard ist für den Routinier keine Herausforderung. Nachdem Petra Löwes Wachposten bestätigt haben, dass rund um das Gelände „Sicherheit hergestellt“ sei, und die Polizei die Verler Straße gesperrt hat, bläst Vieth in sein archaisch wirkendes Horn. Ruhigen Schrittes wendet er sich der Zündvorrichtung zu, bläst zwei weitere Signaltöne und dreht die Kurbel – Zündung. Als habe ein Gigant ihn angerempelt, kippt der Schlot zur Seite. Staub ist kaum zu sehen, denn die Abbruchfirma Hagedorn hat das Gelände zwei Tage lang intensiv gewässert.

Hektisch prüfen die Fotografen an ihren Displays, ob sie die entscheidenden Sekundenbruchteile im Kasten haben. Hans Vieth ist längst auf dem Weg zum Zentrum der Detonation. Gelenkig erklimmt er den Schutt und begutachtet sein Werk. Ein Griff zum Horn, drei kurze Töne und Vieth hat Feierabend. Es ist 9.36 Uhr. Bevor er Horn und Helm verstauen kann, reicht ihm der erste Gratulant die Hand. Thomas Hagedorn führt die Geschäfte des gleichnamigen Abbruchunternehmens, dass Vieth beauftragt hat. „Das sind wir von Hans so gewohnt“, erklärt er den ersten Schaulustigen, die sich auf das Gelände wagen. Hagedorn weiß, wovon er sprich: Fünf Schornsteine pro Jahr fallen seinem Geschäft zum Opfer. Den Film vom Fall hat er den Organisatoren der Spexarder Gewerbeschau versprochen. „Die zeigen auf Großleinwand den Sturz des Schlots“. Der liegt von Schuttwällen gesäumt in der Gasse, in die er fallen sollte. Detonation und Aufprall zerlegten das bis eben höchste Gebäude Spexards in seine Einzelteile. Tausende Ziegel lassen erahnen, welche Dimension der Schlot mit seinen 70 Zentimeter dicken Wänden hatte, bevor Vieth zündete. (Neue Westfälische vom 18.4.2011)



Letzte Änderung: 29. Juli 2011